"Das habe ich auch schon gedacht...", wird mancher Leser bei Karl Napfs Glossen, Zwischenrufen und Schnipseln sich erinnern. Als literarische petit fours sollen Sie Appetit machen auf die Produktion des nachdenklichen Humoristen Karl Napf. Bei aller Kritik ist er sich bewusst "Pessimisten küsst man nicht".

Hier werden Texte aus napfscher Feder zum aktuellen Zeitgeschehen präsentiert; der Leser darf diese als Wortmeldungen von einem, der etwas zu sagen hat goutieren und ist angehalten sie in den eigenen Meinungsbildungsprozess einfließen zu lassen.

Ein Klick auf den Titel des jeweiligen Beitrages bringt Sie dort hin.

Es gibt drei Kategorien von Beiträgen, zum einen die "Glossen", die sich etwas ausführlicher mit einem Thema auseinandersetzen und dann die "Zwischenrufe", bei denen Napf in kurzer aber würziger Form seinen Gedanken Ausdruck verleiht. Die "Schnipsel" wiederum beschäftigen sich mit Überlegungen, bei denen der Leser sich nicht scheuen soll seine Meinung mitzuteilen.




Glossen


Privatisieren, aber richtig!
Das Regierungsviertel oder der Turmbau am Nesenbach
Moderne Geschäfte
Politische Korrektheit - heimliche Zensur?
Hartz IV schlägt zurück
Lernziel Rommel - missglücktes Geburtstagsgeschenk?



Zwischenrufe


Was kommt nach der Postmoderne?
Ignoranz durch Wissen
Wie kommt der Fortschritt in die Welt?
Demokratie und Sprache
Feigheit vor dem Freund
Kardinalproblem Kommunikation
Demokratie ohne Demokraten
Bildung wozu?
Paradigmenwechsel warum?
Soziales Verhalten
Mehr Demut gefälligst!



Schnipsel


Nostalgie
60 Jahre Grundgesetz
Schafft der Staat sich selbst ab?








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Privatisieren, aber richtig!


Wenn das Geld knapp wird und man kein neues bekommt, geht der Optimist mit dem Tafelsilber ins Leihhaus, und der Pessimist verkauft es gleich. Dies ist die „geistige Wurzel“ der Privatisierung von staatlichem Besitz, seien es Firmen, Immobilien, Energieversorgung, Wasserversorgung und ähnliches. Getarnt wird dieser Ausverkauf durch Vokabeln wie „vom schlanken Staat“, „Effizienzsteigerung“, „Kostenreduzierung“ und dergleichen Geschwätz.

Doch nicht dem schlanksten Staat im 19. Jahrhundert und dem größten Nachtwächter unter den Nachtwächterstaaten wäre es eingefallen, Gefängnisse und Bewährungshelfer zu privatisieren. Letztes Beispiel hierzu der „Malefizschenk aus Oberdischingen“, dem erst durch Gründung des württembergischen Staates 1806 das Handwerk als Kriminalunternehmer gelegt wurde. Der Weg ging also vom privaten Gefängnis zum staatlichen, nicht umgekehrt. Oder hat der böse Karl Marx recht, der behauptet, der Staat sterbe in seiner Schlussphase ab. Karl Napf weiß nicht, ob dieser Gedanke verfassungskonform ist, aber meinen könnte man, dass der Staat nicht in Hochform ist.(politische Osteoporose? Pekuniäre Anämie? Wertealzheimer?)

So abwegig solche Ideen des baden-württembergischen Justizministers sind, so schweigen hierzu doch die Medien, sonst hätte man ja viel zu tun!

Die Privatisierung sollte am Kopf ansetzen. Die Regierung muss privatisiert werden. Mehr Köpfe weniger Tröpfe: Nicht unaufhaltsam aufgestiegene Beamte als Minister, sondern Köpfe aus Wirtschaft und Uni. Die Wissensgesellschaft kann nicht durch Unwissende repräsentiert und verwirklicht werden. Aber die Parteibasis? Ab wann hat der PG das Recht abgefunden und versorgt wird zu werden? In einer Demokratie überhaupt nie. Kostenneutrale Zwischenlösung: am besten geht der Regierungsapparat einmal zwei - drei Wochen in ein noch nicht privatisiertes Gefängnis und denkt nach, nur nach, was eigentlich sinnvoll und notwendig ist. Das Ergebnis wäre revolutionär!



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Das Regierungsviertel oder der Turmbau am Nesenbach


Türme haben ihren Charakter, der Eiffelturm, der Juliusturm oder der Schiefe Turm in Pisa. Auch der Turmbau am Nesenbach ist streng zu unterscheiden vom Turmbau zu Babel, den man bis in den Himmel bauen wollte. So vermessen ist man in Stuttgart nicht. Schöner als im Himmel können es im Ländle viele ohnehin nicht haben. Richtig aber ist, dass man am Nesenbach dem Vorwurf entgehen möchte, in Stuttgart sei nichts los, dort laufe nichts, dort sei man nicht „Spitze“.

Wichtige Probleme seien hier wie überall in Deutschland politisch ohnehin nicht lösbar (Staatsverschuldung, Volksbildung am unteren Ende der Skala, Energieversorgung). Stattdessen kann man hier wie anderswo viel Unwichtiges anpacken und von Event zu Event in unheimlicher Aktivität durch die Legislaturperiode hupfen.

Beim Plan des Regierungstowers kommt hinzu, dass es so etwas in Deutschland noch nirgends gibt, und man wahnsinnig sparen kann. In 25 Jahren volle 85 Millionen. Einfach geil! Mit einem Rest von altwürttembergischer Bescheidenheit hat man für die Rentabilität nur die nächsten 25 Jahre herangezogen. Überzeugender wäre, von 250 Jahren oder nachhaltig von 2500 Jahren auszugehen. Auch die Pyramiden ziehen schließlich noch heute viele Touristen an.

Es bleibt die Frage: hat die schöne Stadt Stuttgart eine Profilneurose (gar nachhaltig?).

Ihre Einwohner fühlen sich zwar wohl, aber das gefühlte Wohlfühlen der Einwohner reicht der politischen Führung nicht aus. Zement muss her, und das gefühlte Wohlfühlen der Bevölkerung zu gebautem Wohlfühlen der politischen Führung werden.

Auf die Bevölkerung kann’s nicht ankommen. Im Zweifel will sie preiswerte Gartenwirtschaften, viel Grün, wenig Lärm, Kindertagesstätten, alles Dinge, mit denen man nicht Staat machen und keinen Ruhmerlangen kann, weiß der politische Experte. Dies führt doch nur zur Verkitschung. Schrieb doch kürzlich sogar eine amerikanische Zeitung: Stuttgart, a beautiful town south of Frankfurt. Peng! Da haben wir’s, das kommt doch nur vom vielen Grün in der Stadt! Zement muss her! Also, sofort Planung vergeben für Regierungstower, mindestens einen neuen Landtag, vielleicht bringt’s auch hier die Masse, 2-3 neue Landebahnen in Echterdingen, es gibt ja sonst nichts zu tun im Ländle!



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Moderne Geschäfte


Ein neues Modell für die Entsorgung von Arbeitnehmern hat der Top Schnösel und Vorstandsvorsitzende von Siemens vorgestellt.

Der Handy Bereich, an dem die Siemenstechnik versagte (früher kam man ja auch ohne Handy zurecht), wurde an ein taiwanesisches Unternehmen verkauft, aber - das ist der Pfiff - nicht für ein paar hundert Millionen, sondern Siemens zahlte den Chinesen ein paar hundert Millionen als Entsorgungsgebühr. „Very clever“, sagt der Beobachter und erinnert sich daran, dass der Begriff „clever“ erst durch die Amerikanisierung (böse Zungen sprechen von Umerziehung) in Deutschland eingeführt wurde und für viele Deutsche damals noch etwas Anrüchiges hatte. Erst in den 80er Jahren gab es einen Ministerpräsidenten in Deutschland der stolz war, das „Cleverle“ genannt zu werden, da war Deutschland in der Cleverness schon auf amerikanischem Niveau, Vorbild Chicago.

Als tätige Reue verzichtete der globale Siemens-Stratege auf eine „an sich gerechtfertige“ Gehaltserhöhung von 30% für sich und seine Vorstandskollegen.

So geht es, wenn die Betriebswirtschaft zum alleinigen Maßstab wird. Sie zielt ausschließlich auf das Geld und bedarf deshalb dringend einer humanen Ergänzung, wenn der Neoliberalismus nicht Wirtschaft und Gesellschaft der gesamten westlichen Welt „nachhaltig“ zerstören soll.

Auch die „top dogs“ unter den Politikern werden immer kreativer, nicht nur bei der Buchführung. Bewährt hat sich das Verfahren, die Rechtslage möglichst auszuklammern, damit man in der Sache vorankommt. Das High-Culture-Land, Kunstland, Premiumland Baden-Württemberg gibt da zur Zeit ein weltweit beachtetes Beispiel, indem man mittelalterliche Handschriften im Staatsbesitz verkaufen will, damit vom geschätzten Erlös von 70 Mio € der unglückselige Markgraf von Baden sein Schlössle in Salem als Alterssitz sanieren kann.

Ein Deal, der aber wohl nicht aufgeht.

Noch unverständlicher als die Verschleuderung von exquisiten Handschriften gegen Dachrinnen und Heizungskessel ist, dass mit den Worten abgewiegelt wird, so was stünde ja nur im Kulturteil, nicht aber im Wirtschaftsteil einer Zeitung (wo die Würfel fallen). Zynismus, Verachtung von Kunst und Kultur, Arroganz, Dummheit oder was?

Die Römer meinten, die Konsuln hätten dafür zu sorgen, dass der Staat keinen Schaden nehme. Wenn aber die Politiker selbst den Staat beschädigen? Dann sieht’s bös aus!
Der Zyniker würde sagen, nur so weiter, nur so weiter, noch sind fast alle heiter. Der Citoyen aber würde sagen, macht eurem Herzen Luft, schreibt Leserbriefe, demonstriert, bevor auch das Gute an unserem Land verloren geht.




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Politische Korrektheit - heimliche Zensur?


Schlicht heißt es in Art. 5 des Grundgesetzes: eine Zensur findet nicht statt. Wozu auch, meinen Experten, man braucht keine. Das deutsche Volk wünscht offensichtlich keine Zensur, im Gegensatz zur russischen Bevölkerung. Laut einer Umfrage des Moskauer Demoskopieinstituts FOM aus dem Jahr 2000 befürworten 57% der Russen die Zensur. Die Medien bei uns wetteifern in Selbstzensur, um das System als Ganzes nicht zu gefährden.

Wer die politische Korrektheit erfunden hat, ist genau nicht mehr feststellbar. Das Abweichen von der Parteilinie in marxistisch leninistischen Staaten, das als nicht korrektes politisches Verhalten gerügt wurde, kann als Beginn dieser materiellen Zensur betrachtet werden. Die Dinge dürfen nicht geschildert werden wie sie sind, sondern wie sie sein sollen. Die Partei hat immer recht!

Die Ideologie wirkt als Sehschlitz, um die Sicht auf die Tatsachen einzuschränken. Nur keine Kakophonie. Ein einig Volk von Brüdern wollen wir sein. Neuerdings wird die politische Korrektheit schon vom bloßen Verhalten eines Menschen gefordert. In Berlin musste sich vor Gericht ein Lehrer wehren, der privat so abartige Hobbies wie preußische Militärgeschichte betrieb. Er war des politischen Extremismus verdächtigt worden. Nicht von den Schülern, die ihn für einen Kauz hielten, sondern von Eltern, die ihn für politisch nicht korrekt hielten.

Wo bleibt der demokratische Rechtsstaat und wo beginnt die Meinungsdiktatur in unfreien Gesellschaften und Staatsformen? Die de facto Grenze der Meinungsfreiheit bei uns wird deutlich. „Und willst Du nicht mein Bruder sein, nehm ich Dich nicht ins Blatt herein“.

Probleme erscheinen nicht lösenswert, weil nach ihrer Definition ja alles korrekt ist. Der politisch Korrekte macht dadurch sich und anderen etwas vor. Die Wahrheit wird gepudert, um nicht zu sagen, die Lüge wird hoffähig. Camouflage wird zum Ziel, nicht die Lösung schwieriger Aufgaben.

Von Anfang an war in der Bundesrepublik in der amtlichen Medienarbeit die Zurückhaltung beim Formulieren von Wunschbegriffen nicht von Keuschheit geprägt. „Den Bürger in Uniform“ gab es genauso wenig wie den „mündigen Bürger“. Der Bürger ging nicht zur Bundeswehr, dafür gab’s und gibt’s genügend andere, und der „mündige Bürger“ verfolgt seinen krassen Eigennutz, gewissermaßen „ums Haus herum“.

Seit Jahren ist festzustellen, dass es nicht bei der Formulierung von solch relativ harmlosen Wunschbegriffen bleibt, und Tarnbegriffe in den Medien auftauchen, wohl um Informationen nur an „gesellschaftlich relevante Kreise“ zu vermitteln, die das „profane Volk vermutlich ohnehin nicht richtig kapieren würde“. Migrieren wir daher aus der Welt des Rechtstaates mit dem Migrationshintergrund der Entrechtung in das Schattenreich der modernen Tarnbegriffe. Diese werden von bösen Menschen in Berlin und anderswo „robust“ angefertigt und ohne Rücksicht auf „Kollateralschäden“ im demokratischen Bewusstsein der Bevölkerung in die Medien getröpfelt.

Es ist etwas faul, wenn man semantische Schleier über böse Sachverhalte legen muss. War dies nicht beim „Endsieg“ und den „planmäßigen Absetzbewegungen“ genauso?
1984 liegt nicht hinter uns, sondern vor uns! New speech ist hochaktuell!
Jesuiten sollen behauptet haben, Gott habe den Menschen die Sprache gegeben, damit sie ihre Gedanken besser verbergen könnten, aber Berlin als Jesuitenhochburg?

Friedrich Schiller lässt Marco Posa immerhin Gedankenfreiheit fordern, und das selbst noch in Schulen gesungene naive Volkslied „Die Gedanken sind frei“ fällt kräftig darin ein. Dabei wird es doch erst spannend, wenn die Gedanken geäußert werden!

Aber: Spaß beiseite, die Bevölkerung hat das Recht in einer allgemein verständlichen Sprache informiert zu werden. Technokraten wie bei der Telecom kann die Sprache nicht technisch genug sein. Bei Staat und Gesellschaft geht es aber um die Aktivierung von Menschen, nicht von „Dienstmerkmalen“ (was ist das eigentlich?), wie bei der Telecom.

Für manche „höhere Demokraten“ mag es „gesellschaftlich relevante Gruppen“ geben und andere. Die Verfassung weiß davon nichts. Sie geht davon aus, das Volk sei der Herrscher in der Demokratie. Vielleicht ist das Grundgesetz da nicht mehr auf dem neuesten Stand und die Interessen des Volkes nur ein klein zu haltender Kollateralschaden beim Regieren.




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Hartz IV schlägt zurück


Große Übertreibungen in Staat und Gesellschaft rächen sich, da langfristig oft das Gegenteil von dem erreicht wird, was man anstrebte.

Schon am Beginn des 21. Jahrhunderts hatten die staatlichen Sozialingenieure in der Politik und ihre privaten Helfer mit Hartz IV ein Kunststück vollbracht. Arme Leute, in Deutschland mit der Tarnbezeichnung „sozial schwach“ versehen, hatte es schon früher, ja immer gegeben, durch Hartz IV wurde erstmals in Deutschland ein gewolltes Proletariat geschaffen, das die Betroffenen zu einem Leben unter Minimalbedingungen verurteilte, und die Bezieher stigmatisierte. Armut hatte einen anderen Namen: Hartz IV. „Plattenbau for ever“, sagten die underdogs selbstironisch, doch ihre Vermieter waren zufrieden, weil die Miete vom Sozialamt noch immer die sicherste ist, und im Mietrecht oft mit härteren Bandagen gekämpft wird als bei Scheidungen. Durch diese „Reform“ bekamen die Staats- und Rentenkassen ein Päuschen, doch kamen bei manchen revolutionäre Gedanken auf.

Die Porsche AG florierte mit ihren Luxusautos immer besser und immer globaler. Bei den Verkehrsverhältnissen in Deutschland müssen diese schön gestylten Produkte als sinnlos angesehen werden, es sei denn, ihre Besitzer zahlen den hohen Preis, um im Stau bequem zu sitzen oder ihren Nachbarn ihren hohen gesellschaftlichen Status zu vermitteln, der es ihnen ermöglicht, ein Wohlstandssymbol ohne Funktion zu erwerben.

Wie im ancien regime vor der französischen Revolution erregte überflüssiger Luxus beim Proletariat den größten Hass. Fast kein Hartz IVer lebte im Eigenen, was ihm wegen der Anrechenbarkeit auch nur geschadet hätte. Georg Büchners Motto im „Hessischen Landboten“, 1834, „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“, war auch im 21. Jahrhundert kein Grundsatz der Politik, was in einer Demokratie an sich denkbar gewesen wäre.

Finanzielle Reformen müssen, wenn sie etwas verbessern wollen, auch manchen Gruppen etwas nehmen. Dazu ist die deutsche Politik nur am unteren Ende fähig, nicht aber am oberen.

Die gesellschaftliche Unterschicht war nie Zielgruppe oder Sorgenkind der Regierungen. Dass da auch Menschen sitzen, nahmen viele Entscheider an den Wahlergebnissen für Grüne und Linke erstaunt zur Kenntnis. Mit „Schmuddelkindern“ will der Bürger nichts zu tun haben, auch wenn sie längst erwachsen sind.

In einer sehr heißen Augustnacht, ausgerechnet Mariä Himmelfahrt, ging die Flinte los, und es kam, was kommen musste. Bürger B konnte wegen der Hitze nicht schlafen und sah aus dem Fenster. Was er da auf der Straße sah, erinnerte ihn an Bilder einer Revolution, und er glaubte zu träumen.

Ein kleiner Autounfall, verursacht durch einen Dienstwagen, führte zu Steinwürfen einer Gruppe Hartz IVer, die in T-Shirts mit der revolutionären Aufschrift „Macht kaputt, was Euch kaputt macht“ auf der Straße diskutierten. Ein Steinwurf ging daneben und zerschmetterte die Scheibe eines Aldi Ladens, die in tausend Splitter zerfiel.

Wie heißt es so schön bei Goethe, freilich in ganz anderem Zusammenhang? „Es war getan fast eh gedacht“. „Alle Mann zu Aldi, Räumungsverkauf!“ schrie der Steinwerfer, und die Gruppe Hartz IVer verschwand im Aldi. Schon hörte man in der Ferne das Martinshorn des Streifenwagens, als die „Klaufer“, schwer bepackt mit Alkoholika und Edelkonserven, wiederkehrten. Ihre Leidensgenossen nebst Familien, die durch den Lärm ebenfalls schlaflos auf der Straße standen, umringten die zwei vorgefahrenen Streifenwagen der Polizei. Befeuert vom Aldi Alkohol wurden mit „ho, ho ruck, ho, ho, ruck“ die Polizeiautos umgekippt, die Polizisten gefangen genommen und ins „Volksgefängnis“ im Keller des nächsten Plattenbaus abgeführt.

Jetzt fielen Frauen und Kinder beim Aldi ein, während die männlichen Revolutionäre marschierten mit Sprüchen wie „Wut tut gut“ oder , wie „Hartz IV, erwache!“, in die City marschierten. Als der Zug an der katholischen Kirche sich staute, ertönte es im Chor: „Wir brauchen keine Engel, wir haben Marx und Engels!“, und dann wieder: „Wut tut gut, Wut macht Mut!“
Plötzlich sprangen aus der benachbarten evangelischen Kirche zwei junge Pfarrer im Talar heraus und reihten sich ein. „Bergpredigt now“ rief der eine, und der andere „Erlösung jetzt!“ Aus dem Zug der Proletarier kam der Ruf: „Jede Maus hat ihr Loch, Hartz IV bezahlt dafür auch noch.“

Die Marschierer blockierten die Straße, sie hielten einen Mercedes an, zogen den Fahrer heraus und verprügelten ihn, was bei diesem zu einem Herzinfarkt führte. Revolutionen können auf Einzelschicksale keine Rücksicht nehmen! Inzwischen hatte die Polizei viel Verstärkung bekommen, und es entwickelte sich eine Straßenschlacht wie in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts zwischen KPD und Polizei im Vorfeld des Dritten Reiches.

„Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit!“ wurde skandiert. Was Brüderlichkeit ist, wusste kaum jemand mehr, und wie sie herzustellen ist, noch weniger. Es müsste ja jeder jeden als Mensch behandeln und sich für seine Sorgen öffnen. Aber mit solchem sozialen Klimbim gab sich der Neoliberalismus nicht mehr ab.

Im Rathaus rasselten die Jalousien zu. Der Zug wich etwas ab, weil ein großes Kaufhaus auf dem Weg lag. Während von Oldies gerufen wurde „burn warehouse burn!“, wurde in der Masse der Wunsch laut: „Alles gehört uns!“

Einen überzeugenden Beweis für die Elastizität der Privatwirtschaft lieferten fliegende Händler, die für Zuschauer des Geschehens eilig Stände aufbauten und Revolutionswürstchen, Jakobinermützen und ähnliches feilhielten. Erste Ansätze zu Revolutionstourismus entwickelten sich. Endlich war etwas los. Gaffer fragten: „Wo geht’s jetzt hin, wann wird endlich auf die Polizei geschossen?“ Andere wandten sich furchtsam ab, mit den Worten „man muss nicht überall dabei gewesen sein“, wie es Demokraten hierzulande gerne tun, wenn sie Farbe bekennen müssen.
Fortlaufend bekamen die „Hartzer“ Zulauf aus den „Arme Leute Vierteln“. Am radikalsten waren die Frauen, die vom Geldbeutel befreit, die Modeläden plünderten und neu herausgeputzt, wie verkleidet, wieder herauskamen: „Escada für alle!“, hieß die Devise, und „Schöne Dessous als Clou.“ Sie jauchzten und frohlockten, dass es eine wahre Pracht war.

Die Polizisten resignierten und ließen sich von den Klängen eines Kofferradios zum Tanzen auf der Straße hinreißen. Schuld an dem Ganzen war aber nicht der Bossa Nova, wie das Kofferradio tönte, sondern der überkompensierte Frust des Proletariates und der Ordnungshüter, die sich als Büttel der Staatsmacht missbraucht fühlten. Die Szene wurde immer chaotischer, Autos brannten, ein Wasserwerfer spritzte mit letzter Kraft, als der Ruf ertönte: „Zum Knast, Wärter rein, Knackis raus, und die Diktatur ist aus!“ Alles schrie: „Auf zum Knast, ohne Rast. Zum Knast rennt, solange das establishment pennt!“.

Doch es lief anders. Um das Gefängnis waren Maschinengewehr– und Einzelschützen verteilt, die den „Hartzern“ einen heißen Empfang mit scharfem Schuss bereiteten. Ein Blutbad war die Folge. Blut, Blut, Blut bildete auf dem ganzen Platz Rinnsale. Statt Schreien und Rufen hörte man nur noch Wimmern.

Schweißgebadet kam der träumende Bürger B wieder zu sich und seufzte leicht verwirrt: „So nicht, so nicht, lieber Hartz IV kräftig dynamisieren, von mir aus auch mit Weihnachts- und Urlaubsgeld. So etwas verhagelt einem den Ruhestand, da schmeckt einem ja das Vesper nicht mehr. Heute ist Stadtfest!“




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Lernziel Rommel
missglücktes Geburtstagsgeschenk?


Die Ausstellung „Mythos Rommel“ des dem Wissenschaftsministerium unterstehenden Haus der Geschichte in Stuttgart hat viel Kopfzerbrechen gemacht. Warum jetzt? Warum so? Warum überhaupt?

Hartnäckig hält sich das Gerücht, die Show, die eine Woche vor dem 80. Geburtstag des Sohnes Manfred Rommel begann, sei als Geburtstagsgeschenk für diesen beabsichtigt gewesen. Dies dürfte bei einer Ausstellung eines staatlichen Institutes kein ausreichender Grund sein, und der Betrachter fragt sich, wozu das Ganze? Was ist das Lernziel für die Besucher und insbesondere für Schulklassen? Die pädagogische Absicht bleibt im Dunkeln, was gerade bei solch einem sensiblen Thema unvertretbar ist.

Der Krieg in Afrika wird als „One man show“ mit vorwiegend NS Bildmaterial dargestellt. Bertold Brecht, der bekanntlich nicht zu den Verfassern von Tornisterschriften gehörte, hat aber gleichwohl recht, wenn er sagt: „Alexander eroberte Indien, hatte er nicht wenigstens einen Koch dabei?“

So gereicht die Rommelschau zu einer kritiklosen Bewunderung eines Offiziers, bei dem politische Skrupel erst erkennbar wurden, als der Krieg aussichtslos wurde. Was bei uns nicht alles möglich ist! Militärische Aktionen, selbst militärischer Mut, müssen in einen sinnvollen Gesamtzusammenhang eingebettet sein, wenn sie tolerabel sein sollen. Dies war beim Krieg in Afrika genauso wenig zu erkennen wie bei den anderen Angriffskriegen Hitlers. Insgesamt soll der Krieg in Afrika rund eine Million Soldaten und Zivilisten das Leben gekostet haben. Davon liest man nichts in dieser Ausstellung.

Wie sehr die devote Verehrung von Generälen aus der Zeit des Nationalsozialismus noch heute die Gefühle der Hinterbliebenen verletzt, kann man in der Ausstellung feststellen. Ein sinnloser Tod bleibt für die Hinterbliebenen eine ewige Wunde. Auch mein Vater wurde auf Kreta schwer verwundet bei einem militärischen Unternehmen, dessen Unsinnigkeit offensichtlich war und ist.

Junge Leute, die die Ausstellung besuchen, müssen zu dem Ergebnis kommen, der Rommel war ein fotogener Feldmarschall und als General sehr sexy. Das Ganze ein geradezu klassisch falsches Lehrbeispiel auf Kosten der Steuerzahler.




 ZWISCHENRUF 1     ZURÜCK ZUR AUSWAHL 

Was kommt nach der Postmoderne?


Wann die Postmoderne angefangen hat ist nicht einfach zu bestimmen. Richtig ist, nach der Moderne, also unter weitgehendem Verzicht auf Rationalität, wie es die Losung „anything goes“ vermuten lässt.

Wo stehen wir heute? Am Rande, aber von was? Postmoderne ad infinitum? Das hält wohl niemand aus, und auch die weltweit schrumpfenden Ressourcen zwingen zu einem Paradigmenwechsel. Aber in welche Richtung? Ist das Ergebnis „nothing goes“? In der Kunst, das walte schon das Grundgesetz, ist immer alles erlaubt, aber sonst?

Etwas naiv wirkte auf Europäer die These vom“ Ende der Geschichte“, die der wackere Politologe Fukayama nach der Implosion des Sozialismus ausrief.

Wir sind ein paar Jahre älter und lächeln über diesen amerikanischen Wunsch. Kommt eine „Zeit der kämpfenden Reiche“, wie wir diese aus der chinesischen Geschichte kennen? Oder gar die Zeit zum „Apfelbäumchen pflanzen“, wie es Luther vor dem Weltuntergang empfahl?

Noch ist weder das Jüngste Gericht noch ein politischer Messias in Sicht, noch immer sind die Zeiten zu gut, als dass man große Männer oder gar Frauen braucht. Sinnvoll erscheint die Politik der kleinen Schritte, wie sie Frau Merkel propagiert. Schon Salvatore de Matariaga hat darauf hingewiesen, dass das Paradies nicht ab morgen früh zu haben ist. Die kleinen Schritte müssen deshalb auf ein gesellschaftspolitisches Ziel führen und kein Hin- und Hergetrippel sein. Ein Ziel wäre, von der Postmoderne als Praemoderne wieder zu einer neuen Moderne zu kommen. Ohne Vernunft entstehen keine vernünftigen und gerechten Lösungen.

Die Zukunft ist offen. Statt die Postmoderne auszuleiern, empfiehlt es sich, die Aufklärung wieder zu vitalisieren und im „Kampf der Kulturen“ auf jede Prädominanz zu verzichten. An dem unvollendeten Projekt „Aufklärung“ sollte man weiter arbeiten. Lessing und Kant waren auf dem richtigen Weg. Alle zweihundert Jahre erscheint die Anstrengung und Gefahr, selbst zu denken, durchaus zumutbar.




 ZWISCHENRUF 2     ZURÜCK ZUR AUSWAHL 

Ignoranz durch Wissen


Wissen erschwert jedes Urteil, das weiß jeder von Entscheidungen auf seinem Fachgebiet. Ist daher die Flut des Wissens, die aus den Medien und dem Internet quillt die Ursache für den langsamen Fortschritt?

Wohl nein, gibt es doch für jeden Entscheider und jeden Bürger sein spezifisches relevantes Wissen, das er nach Wunsch erweitern kann oder auch nicht. Der Wissenschaftler möchte möglichst viel von seinem Fach wissen, der Mann auf der Straße braucht davon nichts oder fast nichts zu verstehen. Allgemeines Problem ist, das Wissen zu filtern, was vor der Internetzeit schon durch den Geldbeutel geschah. Wer hatte Zeit und Geld wie der Soziologe Scheuch in Köln, der täglich fünf Zeitungen „eigenäugig“ las?

Die junge Generation verzichtet weitgehend auf Buch und Zeitung, obwohl eine gute Zeitung, über Jahrzehnte gelesen, eine enorme Qualifizierung bringt. Die Jugend arbeitet mit dem PC, nicht immer gezielt, und das Surfen im Internet ist allenfalls zu werten wie ein Spaziergang in der Bibliothek. Noch weniger relevantes Wissen ist die Wirkung des Fernsehens. „Wir dürfen über alles berichten aber nur so, dass dabei nichts hängen bleibt,“ sagte ein Fernsehmann. Hier fehlt das aus der Verwaltung bekannte Ritual der Wiedervorlage.

„Was ist denn aus der Verunreinigung des Golf geworden, wie sieht das heute aus?“ fragt sich z. B. mancher, der Fernsehnachrichten noch ernst nimmt. In seinem Hirn bleibt ein Sperrmüll an Information, der nie entsorgt wird und wie manche Vokabeln aus der Schule ungenutzt mitgeschleppt wird. So wird das Unwissen durch sinnloses Wissen größer, es entsteht Ignoranz durch (Halb)wissen, und die Wissensgesellschaft tendiert zu einer wissensfreien Gesellschaft mangels Relevanz. Das Schulsystem zeigt bei diesem Prozess schon gute Erfolge.




 ZWISCHENRUF 3     ZURÜCK ZUR AUSWAHL 

Wie kommt der Fortschritt in die Welt?


Was Fortschritt ist, wäre zu definieren. Nicht jede Neuerung ist ein Fortschritt im Sinne der Menschheit. Die Chinesen erfanden lange vor den Europäern das Schießpulver, wendeten es wegen der grausamen Folgen nach kurzer Zeit nicht mehr an, die Europäer hatten keine derartigen Skrupel.

Ingenieure sehen ein Problemfeld, wie die fehlende Möglichkeit mobil zu telefonieren, und lösen dies durch das Handy. Vor ein paar Jahren noch unbekannt, ist es heute für fast alle unentbehrlich.

Bei Sitten und Gebräuchen und allem Geistigen ist der Fortschritt noch schwerer zu bestimmen. „Hier hat mein Vater gebremst, hier brems auch ich“, sagte dem Sprichwort nach der junge Bauer. Käme er noch mit Kühen oder Pferden daher, hätte er sicher recht, aber bei einem großen Bulldog im Schnellgang? Verschiedene Zeiten erfordern verschiedene Reaktionen.

Jede Generation hat zwar kein eigenes Recht aber eigene Überzeugungen. Daraus nährt sich der Streit der Generationen auch in den Familien, was jeder an seiner eigenen überprüfen mag. Wichtig ist, dass die Generationen sich nicht völlig selbständig gebärden, sondern ein einigendes Band von Grundüberzeugungen rechtlicher und kultureller Art zwischen ihnen erhalten bleibt.

Die Sperre der Alten gegen Veränderungen ist erklärlich. In ihrer Jugend beherrschten sie die Technik und waren den Anforderungen des Lebens und der Umwelt gewachsen. Je älter sie werden, desto weniger ist dies der Fall. Nur die Sperre bleibt. Der Fortschritt kommt deshalb oft, wenn die Alten gehen oder resignieren.




 ZWISCHENRUF 4     ZURÜCK ZUR AUSWAHL 

Demokratie und Sprache


Art. 5 Abs. 1 GG enthält für jedermann das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, also in deutscher Sprache in verständlicher Form. So will es das Grundgesetz, das von „Denglish“ noch nichts wusste. Aber auch nichts von Wortschöpfungen wie „Collateralschaden“ „mobile ethnische Minderheiten“ oder auch „Migrationshintergrund“. Begriffe, die aus zweifachem Aspekt bedenklich sind.

Zum einen führen sie zu einer Geheimsprache für wie auch immer herausgehobene administrativ-politisch journalistische Gruppierungen, die zu den „gesellschaftlich relevanten Gruppen“ gehören, wie es in offen schamloser Deutlichkeit immer wieder heißt. Mag ja sein, dass aus mancher Sicht nicht alle Gruppen gleich relevant sind.

Immerhin hat auch der irrelevanteste Mensch eine Stimme bei der Wahl, das Grundrecht der Gleichheit in Art. 3 GG und auch für die meisten Religionen sind die Menschen gleichwertig.

Mag sein, dass derartig demokratische Pingeligkeit für manche nicht in die Zeit passt, doch wer dem Zeitgeist vertraut, wird bald Witwer, sagte schon Kierkegaard.

Wenig hilfreich ist es, wenn die berüchtigte Telecom von Englisch auf unverständliches Deutsch migriert, wie „das Dienstmerkmal ist aktiviert“. Was nur heißen kann, der Auftrag ist vorgemerkt, aber so versteht´s ja jeder.

Dem genauen Betrachter fällt auf, dass Neuschöpfungen wie oben nicht nur für die Mehrheit der Bevölkerung unverständlich sind, sondern diese Begriffe auch keine Gemütsregungen hervorrufen. Hat man mit Vertriebenen und Flüchtlingen Mitleid, fällt die emotionale Komponente beim „Migranten“ und dem „Migrationshintergrund“ weg. Leider sind die Fakten härter als die Formulierungen und verbale Problemlösungen sind keine Problemlösungen, was in der Politik gern übersehen wird.

Oder haben die Jesuiten einen bundesweiten Durchbruch erzielt für ihre Auffassung, Gott habe den Menschen die Sprache gegeben, damit sie ihre Gedanken besser verbergen können? Die Sprache ist das Haus des Seins, sagt Heidegger. Nach den Orkanen Lothar und Kyrill scheinen auch am Haus des Seins einige Dachpfannen mitgerissen worden zu sein. Ein „robuster“ Einsatz für die deutsche Sprache würde sich lohnen.




 ZWISCHENRUF 5     ZURÜCK ZUR AUSWAHL 

Feigheit vor dem Freund


Feigheit vor dem Feind ist in Kriegszeiten ein harter Vorwurf, der streng bestraft wird. Von solchen Zeiten sind wir zum Glück weit entfernt, doch viele Schieflagen entstehen oder werden verlängert und schwieriger durch das weit verbreitete Phänomen der Feigheit vor dem Freund.

Wie das? Es fehlt ein moralisches Gebot, welches zum Ausdruck bringt, dass wer eine Gefahr in seinem beruflichen Umfeld, einem Unternehmen oder einer Behörde erkennt und aus falscher Rücksichtnahme Vorgesetzen im weitesten Sinne nicht einen legalen Ausweg darlegt, zumindest zur moralischen Mithaftung verpflichtet ist.

Dies ist nicht zuletzt das Problem der politischen Stäbe, die sich fast überall nur noch aus „Ja- Sagern“ zusammensetzen. Durch Kritik an ihren Vorgesetzten fürchten sie das „gute Klima“ zu zerstören, um ihre spezifische gute Situation zu erhalten und zu verbessern. In einer entsittlichten Welt ist konstruktive Kritik von unten freilich ein hoher Anspruch.

Ein guter Politiker oder Unternehmer braucht daher in seinem Umfeld loyale Kritiker, die ihn beraten und auch abraten, wenn der Chef bei Problemen befangen ist oder sonst einmal „daneben liegt“. Ein guter Führungsstab ist daher nicht immer einer Meinung, sondern durch loyalen Pluralismus gekennzeichnet.

Selbst für die gute alte Ehe gilt dies zumindest ansatzweise, wobei sich immer die Frage stellt, wer der Chef und wer der Berater ist.




 ZWISCHENRUF 6     ZURÜCK ZUR AUSWAHL 

Kardinalproblem Kommunikation


Die beste demokratische Verfassung nützt nichts, wenn Bevölkerung und Regierung nebst Regierungsbürokratie nicht richtig kommunizieren. Es schleichen sich Misstrauen ein, Isolation, gar Zynismus, nach dem Motto: „Ihr da oben, wir da unten.“

Für jede Organisation, die erfolgreich sein will und muss, ist daher der Informationsfluss von der Spitze zur Basis und umgekehrt von entscheidender Bedeutung. Entgegen steht dieser Theorie eine Praxis, die weitgehend von Gedankenlosigkeit geprägt wird. Die Verweigerung von Information ist üblich und undemokratisch zugleich.

Staat und Verwaltung stützen sich auf Pressereferate unterschiedlicher Qualifikation. Diese versenden Pressemitteilungen und halten Pressegespräche und Pressekonferenzen. Im übrigen verlassen sie sich auf die Medien, die mehr oder weniger detailliert und engagiert über die Politik berichten. Selbst häufig nicht optimal informiert, verdünnt sich der Inhalt in der Wiedergabe noch mehr. Vor allem das Fernsehen verkürzt die Sachverhalte sehr und unterschlägt die Zusammenhänge und Ursachen von neuen Maßnahmen und Phänomenen.

Der Bürger als Endverbraucher der Information fühlt sich vernachlässigt mangels Transparenz des staatlichen Geschehens.

Die Bundeswehr hatte interessanterweise von Anfang an den Leitsatz „der informierte Soldat ist besser“. Dies gilt auch für den zivilen Bürger, der sich zunehmend ohnmächtig fühlt und Änderungen bestenfalls mit stoischem Gleichmut erträgt. So formt sich kein Staatsbewusstsein, das Krisen standhält.

Der Politiker informiert sich, von Zufallskontakten abgesehen, über die Medien. Direkte „Eingaben“ im Zeichen der da und dort propagierten „Bürgernähe“ zeigten, dass objektive Stellungnahmen von der Basis selten zu erwarten sind, vielmehr bei Vorschlägen höchst subjektive Anliegen ventiliert werden. Kommunikation erzeugt Vertrauen und mitdenkende Menschen. Was dem Soldaten der Bundeswehr recht ist, ist Arbeitnehmern, Patienten und anderen Abhängigen sehr billig.

Die großen Schweiger nützen nicht einmal sich selbst, aber sie schaffen Abhängigkeit und verzichten auf das oft große Potential ihrer Mitmenschen. Sie handeln letztlich nicht im Sinne der Demokratie.




 ZWISCHENRUF 7     ZURÜCK ZUR AUSWAHL 

Demokratie ohne Demokraten


Die Demokratie ist keine deutsche Erfindung. Nach dem ersten Weltkrieg in Deutschland erstmals etabliert, litt sie unter dem Odium und den Folgen der Niederlage, das Dritte Reich war das Ergebnis. Nach 1945 war die Errichtung der Demokratie in den drei Westzonen eine Folge des Zusammenbruchs der Hitler-Diktatur. Schlechte Startbedingungen. Um so schöner war es, als die Demokratie mit dem Grundgesetz den Deutschen eine Verfassung schenkte, die noch heute - trotz nicht weniger Einschränkungen - die freiheitlichste ist, die es in Deutschland je gab und wohl auch geben wird. Trotz allem entstand keine aktive staatsbewusste aktive bürgerliche Gesellschaft mit demokratischem Gesicht auch im Alltag.

Wie schon von George Orwell in „Die Farm der Tiere“ dargelegt, waren manche gleicher als gleich, und differenziert war daher die Befolgung der staatsbürgerlichen Pflichten. Die Wehrpflicht wurde gerade vom Bürgertum gern umgangen und der Steuerpflicht, nun ja, sehr individuell nachgekommen. Man kannte die Schliche. Auch die Schulpflicht wird seit Jahren gern an Privatschulen abgefedert.

Der Staat war in den fünfziger und sechziger Jahren im Westen gut bei Kasse und in den 70er, 80er Jahren noch ausreichend kreditfähig, so dass er die Bevölkerung immer wieder mit Wohltaten, vor allem, vor Wahlen verwöhnen konnte. Ab den 90er Jahren merkte man die Gefährlichkeit dieser Praxis und wäre froh gewesen, man hätte manche Leistungen gar nie eingeführt. Es prägte sich immer stärker die Auffassung aus, nicht der einzelne Bürger und jeder, der dazu fähig ist, führt sein Leben selbständig, sondern für alle Härten im Dasein sei der Staat zuständig. Das lässt sich gut vertreten, spricht aber nicht für eine freiheitliche Gesellschaft.

Heute hilft nur eines: die demokratische Verfassung als Impuls für eine demokratische Gesellschaft zu nehmen und mit dieser ernst zu machen. Letzteres kostet keinen Cent, fängt beim Grüßen an, geht über Familie und Verein bis zu den großen Verbänden und Parteien, deren Wertschätzung der Basis noch recht steigerungsfähig ist. Wer den Menschen, gleich in welcher Stellung nicht achtet, ist zur Demokratie nicht fähig. Demokratie ist auch eine Stilfrage.




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Bildung wozu ?


„Wachstum“ hieß die Zauberformel in den letzten vier Jahrzehnten. Wachstum sollte alle finanziellen Probleme heilen, den Beamten ihre Pension finanzieren, die Staatsschulden abtragen, und es ist bemerkenswert, dass „Wachstum“ im nach wie vor geltenden Gesetz über Stabilität und Wachstum aus dem Jahre 1967 als wirtschaftspolitisches Ziel neben anderen gesetzlich verankert ist. Von fast gleicher Naivität wäre es gewesen für Notfälle von himmlischen Mannaspenden auszugehen.

Nachdem die Beschwörung des Wachstums viele nicht mehr überzeugt, benützt man einen bewährten Zauberbegriff, „die Bildung“. Bildung soll die Arbeitslosigkeit bekämpfen, die Wettbewerbsfähigkeit stärken, Kreativität freisetzen, und, und, und... Alles richtig und entsprechend werden schon nächstes Jahr die Zahl der Studienplätze kräftig erhöht. Doch wie sieht’s an der Basis aus? Woran scheitern die Arbeitslosen? Zu wenig Latein? Zu wenig „Faust“-Kenntnisse? Das ist Gott sei Dank der Schnee von gestern.

Die Zahl der Arbeitslosen entspricht in etwa der Zahl der Analphabeten in Deutschland, einem wenig süßen Geheimnis unserer Gesellschaft und deshalb tabuisiert. Hier sammeln sich Schulabbrecher, Minderbegabte, Migranten, Spätaussiedler und andere Pechvögel, die erst beachtet werden, wenn sie Autos anzünden oder sich zu Skinheads entwickeln. Bildungsförderung ist daher nicht nur Hochbegabtenförderung und Einrichtung von exzellenten Lehrstühlen, sondern, was sträflich übersehen wird, Hilfe an sozialen Brennpunkten, wie den Haupt- und Berufsschulen, aus denen bei weiterer Vernachlässigung die Flammen herausschlagen könnten.




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Paradigmenwechsel warum ?


Als Muster für die Entwicklung der westlichen Welt gilt seit der Aufgabe der landwirtschaftlichen Lebensformen in ihrer Abhängigkeit von der Natur für das Gros der Gesellschaft das quantitative Wachstum, das alle Lebensbereiche erfasst hat, außer dem kritischen Denken.

Die Produktion muss wachsen, das Einkommen, der Konsum, die Studentenzahl, Schülerzahl - nach der Qualität fragt niemand. Auch die Besucherzahlen von kulturellen Veranstaltungen müssen immer höher sein. Der quantitative Kulturbegriff hat alles durchsetzt und zersetzt. Die Frage, was das eigentlich soll, wird selten gestellt, und dann verwaschen mit „Demokratie“ oder „Kostendeckung“ beantwortet.

Nicht auf die Wirkung kommt es an, sondern auf die Kostendeckung. Schlägt Quantität wirklich einmal in Qualität um, wie Karl Marx dies behauptete? Viele bürgerliche Politiker wären danach heimliche Marxisten, was kaum vorstellbar ist. Das Fernsehen und die Publikumszeitungen müssten quantitativ denken, heißt es, weil die Werbung nach Quote und Auflage bezahlt wird, und Werbung müsse sein, weil die beworbenen Firmen wachsen müssen, und so kann man immer weiter machen, konsequent aber falsch.

Soll die westliche Kultur nicht am falschen Denken scheitern, muss das Quantitative als einziger Maßstab ergänzt werden durch menschliche Aspekte und qualitative Ansätze. 1518 kamen in Deutschland 150 Bücher heraus, 1524 über 1000 und 2006 nicht weniger als 85 000 - ohne das immer wichtiger werdende Internet. Wächst mit der Zahl der Bücher wirklich die Weisheit, oder braucht man diese gar nicht mehr; steht wirklich alles im Internet und den Lehrbüchern der Betriebswirtschaft, was der Mensch zu einem menschengerechten Leben wissen muss?




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Soziales Verhalten


Was, Sie kennen den Begriff nicht? Irgendwo schon gehört? Wo steht das?

Leider in keiner Verfassung, leider in keinem Gesetz und keiner Verordnung. Dabei ist das soziale Verhalten doch das wichtigste Kriterium für das menschliche Zusammenleben. Wie erklärt sich der Widerspruch?

Von der Betonung des Individuums, das im Dritten Reich gar nichts bedeutete, aber zur christlichen Substanz gehört. Noch heute haben Missionare in Ostasien Erfolg, weil nach ihrer Auffassung jeder Chinese durch das Christentum eine Einzelseele unter Gottes Schirm erwerben kann. Die individuelle Persönlichkeit wurde in der europäischen Philosophie weiter entwickelt, über die Aufklärung noch gestärkt und hat als allgemeines Persönlichkeitsrecht in das Grundgesetz Eingang gefunden.

Wenn man so will, leben daher über 80 Mio. Individuen in Deutschland. Während für das Eigentum die Sozialbindung vorgeschrieben ist, geht man beim Bürger von der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit aus, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

Eine soziale Komponente der Persönlichkeit ist nicht vorgesehen. Egoismus, Radikalität, alles unfaire und unsoziale eines bösen Menschen ist vom Grundgesetz gedeckt, soweit nicht von den obigen Einschränkungen erfasst. So darf man sich nicht wundern, wenn ein Volk von unaufgeklärten Absolutisten entsteht. Das gerühmte Menschenbild des Grundgesetzes hätte wenigstens durch einen sozialen Touch ergänzt werden müssen. Eine Gesellschaft aus Einzelkämpfern kann nicht gedeihen.




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Mehr Demut gefälligst!


Es gibt einen neuen Modebegriff in Politik und Gesellschaft: die Demut. Kreiert vom Bundespräsidenten selbst, der sonst zu einfachen Wahrheiten neigt.
Demut bedeutete in der Antike die ehrfurchtsvolle Selbstbescheidung des Menschen gegenüber den Göttern und dem Schicksal.

Klar erkannt, daran fehlt es den Bankern, die von Köhler endlich darauf hingewiesen wurden. Im Christentum orientiert sich die Demut als christliche Grundhaltung an der Selbsterniedrigung Jesu. Wahre Worte für die Wallstreet. Schade, dass viele Börsianer Dissidenten sind und christliche Tugenden ihnen spanisch vorkommen dürften.

Auf solche grobe Klötze gehören grobe Keile in Form von Steuergesetzen, die die Selbstbescheidung fördern.

Die Bevölkerung hat die Demutsstellung schon eingenommen: Schwanz einziehen, Zurücklegen der Ohren, Zeigen der ungeschützten Kehle.

Warten wir ab, wie sich die neue Demut in Berlin auswirkt, nur modern talking oder mehr. Vielleicht würde die Beschränkung des Werbefernsehens mehr bewirken, aber da käme man womöglich in eine systemische Krise.




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Nostalgie


Kürzlich traf Karl Napf alte Freunde aus der Tübinger Zeit. Ach, wie war das schön! Erinnerungen gab’s natürlich. An den Strafrechtsprofessor Baumann, der dem Besten in der Klausur einen Tag seinen vollgetankten Porsche überließ und den uralten Professor Kern, der bei seiner Vorlesung über Rechtsfälle des täglichen Lebens sich beklagte, er habe in den zwanziger Jahren seinen Geldbeutel verloren und bis heute nicht zurückerhalten!

Held der Erinnerung war der Verfassungsrechtler Dürig, der immer betonte, wenn man ihm nicht in Russland das halbe Hirn weggeschossen hätte, würde er in Tübingen alle in die Tasche stecken. Er kam in den Hörsaal geschlurft und stellte noch vor Erreichen des Podiums die erwartete Frage: Hat mir einer eine Reval?

Nach den ersten Zügen berichtete er noch kurz vom Urlaub. Er sei mit seiner Frau in Israel gewesen. Am Strand von Haifa habe sich seine Frau umgesehen und dann zu ihm gesagt: Günter, im Grunde bist du hier der einzige, der aussieht wie ein Jude.

Wäre Dürig allein mit diesen Zitaten nicht Stoff für Sondersendungen im Fernsehen? Nimmt die Freiheit der Rede ab und die politische Korrektheit zu? Erstarrt das Land gar in Korrektheit? Wird der Mainstream auch noch immer schmaler? Versickert die Wahrheit allmählich ganz? Was meinen Sie?




 SCHNIPSEL 2     ZURÜCK ZUR AUSWAHL 

60 Jahre Grundgesetz


Das gute alte Grundgesetz wurde 60, und alle waren begeistert, auch die vielen, die es nicht kannten.

Es dürfte trotz aller Schnipfeleien der Sicherheitspolitiker noch immer die freiheitlichste Verfassung sein, die wir hatten und wohl auch haben werden. Doch gab es auch Wasser in den Jubiläumswein. Für die großen internationalen Zusammenschlüsse würden die nationalen Verfassungen nur hinderlich sein und man brauche heute Konstitutionen, die den großen Territorien und Aufgaben angemessen wären. Also Grundgesetz ade?

Hoppla, so ähnlich dachte auch Hitlers Kronjurist Carl Schmitt als Großraumdenker. Da ist mir mein altes kuscheliges Grundgesetz dann doch lieber. Und überhaupt, wie sagte vor hundert Jahren der Lehrer auf den Fildern? Europakarte brauchen wir nicht, wer kommt denn da schon hin! Wie sehen Sie das?




 SCHNIPSEL 3     ZURÜCK ZUR AUSWAHL 

Schafft der Staat sich selbst ab?


Marx hat ja behauptet,dass in der Endphase der Gesellschaft der Staat abstirbt. Dass dahinter Bundestag und Bundesregierung stehen vermutet kaum jemand aber Tatsache ist: im Bundestag werden Reden nicht mehr gehalten, sondern zu Protokoll gegeben (siehe Prantl in der SZ). Wichtige, schwierige, eilige Gesetze werden von amerikanischen Rechtsanwaltskanzleien in Berlin ausgearbeitet und die Lobbysten haben zwecks effizienterer Beratung eigene Zimmer in den Ministerien.

Und niemand findet etwas dabei zum Donnerwetter.
Wacht auf ihr Penner!






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